Dei Gratia
In ein schlichtes, weisses Gewand gekleidet sass Norru auf dem throngleichen Stuhl der Lehrmeister, erhöht auf einem Podest. Er war ein wenig hineingesunken, sein Ellbogen ruhte auf der Armlehne und die Faust stützte den von Gedanken schweren Kopf am Kiefer ab. Die Finger der anderen Hand trommelten monoton auf der Lehne und sein Blick lag auf einem willkürlichen Fleck des Bodens des gewaltigen Raumes. Das tuscheln der Priester und Adepten die immer wieder im Raum herum gingen und daran vorbei hatte er mittlerweile ausgeblendet. Sheda und ihm war die Macht über ein ganzes Volk in die Hände gelegt worden, weil sie die prophezeiten Gesandten der Götter waren. Ihr Glaube, ihre Wirtschaft, ihre Armeen... Gedeih und Verderb war ihnen anvertraut worden.
So viel in scheinbar so kurzer war geschehen, seit sie von der Klippe in die Finsternis gestossen wurden. Sie hatten sich Prüfungen unterzogen, die ihren Widerstand gegen die dunkle Seite und die Verinnerlichung des Kodex getestet hatten. Umgeben von einem dunklen Nebelmeer und Todeskälte gelang es ihnen nach ein paar Fehlschlägen, ein Schalterrätsel zu lösen. Der Kodex war der Schlüssel gegen die drohende Dunkelheit. Kaum hatten sie bewiesen, dass sie ihn kannten und die List durchschauten, lichtete sich die Dunkelheit und sie erkannten, dass sie nicht in eine bodenlose Hölle gestürzt waren, sondern in eine Schlucht, deren Boden keinen Meter weiter unter ihnen lag. Eine Prüfung des Glaubens.
Aus dem Tal gab es keinen Ausweg, doch es wurde klar, dass sie hier nicht die ersten waren. Überall fanden sie Überreste anderer Leute, wohl jener, die nicht so glücklich waren den Kodex zu kennen oder gar den Sturz überhaupt überleben zu können. Der Zustand der Überreste, zerschmettert, geborsten, gesplittert, erinnerte ihn daran, wie verflucht zäh ein Jedi doch war - der Macht sei Dank. Er fand einige Spielwürfel und nahm sie mit - Leichenfledderei. Sie waren gewiss gezinkt, doch bisher hatte er keine Gelegenheit sie zu testen. Warum er es tat, war ihm nicht ganz klar, aber es fühlte sich richtig an, sie mitzunehmen.
Als nächstes waren sie angegriffen worden. Spinnendroiden, repariert mit allen möglichen Materialien, selbst Knochen, die sie gefunden hatten gingen mit Vibrolanzen auf sie los. Sein Lichtschwert war nach wie vor ohne Kristall. Sheda, eine fähige Fechterin, konfrontierte die Droiden im Nahkampf, während er sich mit der Macht arbeitete um sie zu beschäftigen. Es war ein kurzes aber intensives aufeinandertreffen bei dem beide glücklicherweise unverletzt davon kamen. Am Ende der Schlucht fanden sie die Überreste eines alten Lagers, jedoch nichts von Wert oder etwas das ihnen weiterhelfen konnte.
Eine der Felswände fiel ihnen auf. Sie war anders und ein Blick durch die Macht offenbarte, dass es sich dabei um eine verschlossene Tür handelte. Sie war den Schlössern der Jedi in den Gewölben des Tempels ähnlich, wenn auch ungleich komplexer und grösser. Gemeinsam gelang es ihnen die feinen Hebel, Riegel, Schlösser, Schalter und Mechanismen in der richtigen Reihenfolge zu betätigen, bis sich das Schloss öffnete und die Tür einen Weg durch eine Höhle freigab.
In der Höhle wurden sie von Visionen, Eingebungen der Macht heimgesucht. Sie erfuhren, was auf diesem Planeten passiert war aus nächster Nähe, als Teilnehmer. Ein Ritter und sein Padawan waren - wie die Infinity und ihre Crew - auf diesem Planeten abgestürzt und schwer verletzt worden. Eines Nachts waren sie von den brutalen Einheimischen, mit denen die Infinity auch schon zu tun hatte, angegriffen und besiegt. Sie entkamen dem Tod nur, weil sie von den Leuten, die sie jetzt prüften, gerettet worden waren. Als es den beiden Jedi besser ging, kam es zu einem Zwischenfall. Ein Haus brannte und einige Bewohner konnten sich nicht in Sicherheit bringen. Die Jedi nutzten ihre Kräfte um die Leute zu retten. In diesem Moment wurden sie für die Bewohner des Planeten zu Helden. Die Hoffnung jemals von der Republik oder dem Orden auf diesem Planeten gefunden zu werden schwand Monat für Monat, Jahr für Jahr. Irgendwann liess der Ritter alle Hoffnung fahren und sie begannen damit, dieses Volk anzuleiten, zu führen. Aus Gestrandeten wurden Lehrer. Aus Lehrern wurden Herrscher. Und als Herrscher schwangen sie sich in den Status von Göttern empor. Sie versuchten die Lehren der Jedi umzusetzen und ihrem Volk näher zu bringen. Über die Zeit wurden ohne die Anleitung der Jedi und nur auf die eigene Interpretation dieses Volkes gestützt aus den Lehren der Jedi eine Religion von Göttern, ihren Boten und falschen Propheten - Jedi und Sith. Eines Tages würden die Boten der Götter mit einem Feuerball zurück auf ihren Planeten kommen, und würden die Erleuchtung mit sich bringen. Ein Machtgeist, das Phantom des alten Padawans, hatte ihnen dies alles gezeigt, damit sie verstehen konnten, was hier vor sich ging.
Nachdem sie gesehen hatten, was sie sehen mussten, verliessen Sheda und Norru die Höhle wieder. Auf dem Weg nach draussen fanden sie einen aufgebrochenen Lichtschwertgriff. Es war die Waffe des Padawans und der Kristall war noch intakt. Sheda zeigte keine Reaktion, er war ihr wohl gar nicht aufgefallen, doch für ihn leuchtete der Stein hell und es schien, als wollte er gesehen werden. Die Macht hatte mit ihnen bisher so viel Schabernack getrieben, dass Norru sich dazu entschloss sich darauf einzulassen und fügte den alten Kristall in sein nutzloses Schwert ein. Es funktionierte.
Es war erstaunlich, wie nah diese Prophezeihung doch an der Wahrheit war. Sie waren Jedi. Sie waren in einem Feuerball hier her gekommen, zumindest musste es aus der Ferne so ausgesehen haben, als die Infinity halbwegs unkontrolliert in die Umlaufbahn des Planeten eintrat und eine Schneise der Verwüstung über die Oberfläche zog. Dass die Bewohner der Stadt glaubten, ihre Prophezeihung hätte sich endlich erfüllt, nachdem so viele falsche Propheten angekommen waren, war nur natürlich. Sie wussten nicht mehr, was die Jedi wirklich waren. Für sie waren die Jedi Götterboten die hier waren um sie zu führen. Nun hatte man Sheda, ihn und ihre Begleiter in einer Zeremonie an die Spitze ihrer Religion gesetzt. Sie mussten sich vor der versammelten Bevölkerung rituell waschen. Ihnen wurde ein künstlicher Padawanzopf aufgesetzt, nur damit er Sheda und Ihm wieder wie bei einem Ritterschlag abgenommen werden konnte.
Wie sollte es nun weitergehen? Sie konnten nicht hier bleiben und schon gar nicht die Götterboten dieser Leute hier sein. Sie waren Jedi. Richtige Jedi. Sie führten eine hitzige Diskussion. Sheda schien lange nicht einsehen zu wollen, dass es sich hierbei nicht um aufgeklärte Corscuanti handelte, denen man mit Vernunft und Logik begegnen konnte. Dass es sich um tief gläubige Leute handelte, deren Heilsbringer in direkter Übereinstimmung mit einer alten Prophezeihung zu ihnen gekommen waren schien sie nicht begreifen zu wollen oder zu können. Nach Norrus auffassung war es wichtig, erst einmal mitzuspielen, sich in eine bessere Position zu bringen und dann zu sehen, wie man sich aus der ganzen Sache herausziehen konnte. Sheda war der Meinung, mit diesem Missverständnis aufräumen zu müssen, dass es das wichtigste sei so schnell wie möglich die Wahrheit auf den Tisch zu bringen. Auf Norru wirkte es, als wäre es ihr völlig egal, dass sie damit das gesamte Glaubenssystem dieser Leute mit Füssen treten würde. Irgendwo hatte Sheda recht, aber so einfach würde das wohl nicht sein. Die Einheimischen machten überdeutlich, was passieren würde, wenn sich herausstellte, dass es sich bei ihnen nicht um die Auserwählten Boten handelte.
Sie diskutierten hin und her, im Kreis und wieder zurück, bis sie sich auf einen Mittelweg einigten. Sie rechneten sich die besten Chancen aus, hier wegzukommen und gleichzeitig das Missverständnis aus der Welt zu räumen und die Leute über ihre Götter zumindest weitestgehend aufzuklären, ohne horrenden Schaden anzurichten, wenn einer von ihnen hier blieb. Er bot sich an, doch Sheda bestand darauf auf dieser Kugel zu bleiben. Nach der abschliessenden Zeremonie, der Salbung, hatte Norru in die Theaterkiste gegriffen und den Hohepriester informiert. Er war überrascht, erhob jedoch keinen Einwand. Es war offenbar genug gewesen, ihm zu versichern, dass der Gelbe Götterbote seine Beste bei ihnen lassen würde, und die anderen Padawane wieder mitnehmen würde, Ritter Jarok und Nelur eingeschlossen.
Er schmunzelte. Jarok hatte überhaupt kein Verständnis für die Situation. Er weigerte sich, den Ritus länger als nötig über sich ergehen zu lassen und wäre dafür fast "entfernt" worden. Er hatte sich bereits bei der Waschung geziert, sich vor versammelter Mannschaft auszuziehen und durch das Wasser zu waten. Er war ein junger Ritter, der offenbar noch viel über Demut und Respekt lernen musste. Dass Efroy und Karag während des Ritus zu Padawanen degradiert worden waren hatte Norru amüsiert, auch wenn er versuchte es sich weniger anmerken zu lassen als Ashanea oder Shiori.
Norru schickte seine neuen Padawane zurück zum Schiff, um die Reparaturen zu beenden und den Abflug vorzubereiten. Nun sass er hier auf dem Thron. Als Götterbote über alle anderen erhoben, mit der Macht über ein ganzes Volk in der Hand. Er vertraute Sheda. Sie würde das richtige tun und nicht den gleichen Fehler begehen, wie die Jedi, die vor ihnen hier her gekommen waren. Er war sich sicher... fast. Sheda war leidenschaftlich, so viel war während der Diskussion klar geworden. Sie war fähig und wusste sich einzufügen. Er war sich fast sicher, denn sie hat einen starken Charakter. Fast sicher. Macht verdirbt den Charakter.