Der Beginn der Evakuierung war gleichzeitig erstaunlich koordiniert und erstaunlich chaotisch gewesen. Koordiniert deshalb, weil es sorgfältige Ansagen gegeben hatte, an die alle sich hielten. Chaotisch deshalb, weil bereits wenige Momente nach diesen Durchsagen nicht mehr ganz klar warte, was passierte und was überhaupt passieren sollte. Das überforderte Skaja ein wenig: Sie war ziemlich gut darin, sich auszudenken, was die beste Handlung in einer gegebenen Situation und sogar exzellent (mit Sternchen!) darin, andere auf den Unterschied zwischen Ist- und Soll-Zustand aufmerksam zu machen. Dass einmal beides unklar sein könnte war für die nebenberufliche Besserwisserin (immerhin: Als Hauptberuf hätte sie in jedem Fall "Jedi" angegeben und das meinte sie auch so) ein schwerer Schlag.
Doch auch um darüber hinlänglich zu meditieren blieb keine Zeit. Nun begann zwar kein Ansturm des Feindes, aber ein Ansturm der Ereignisse. Anweisungen (zum Teil widersprüchlich), die wild durcheinander gesprochen wurden, rennen, Rucksäcke packen, Rucksäcke transportieren, rennen, aufstellen, aufteilen, Befehle, Befehle, Durchsage - war da noch eine Durchsage gewesen? - gehen, laufen, gehen, klettern, ... die genaue Abfolge geriet in ihrem Kopf etwas durcheinander. Es war nicht so, dass sie dem nicht gewachsen wäre. Sie funktionierte nur anders, wenn alles so schnell ging. Wahrscheinlich ist es bei jedem so: Wenn zu viel auf einmal kommt, filtert das eigene Gehirn unbewusst mehr hinaus. Manches bekommt man gar nicht mehr mit, obwohl man darauf reagiert. Man setzt einen Fuß vor den anderen, tut einen Griff nach dem anderen, reagiert immer mehr, statt zu agieren, und das Gehirn sagt dem eigenen Bewusstsein:
"Ganz ruhig. Es ist normal, so zu reagieren. Schlaf jetzt." sagte die der Betreuer beruhigend. Die siebenjährige Skaja war im Schlafsaal ihres Clans, lag auf dem Bett, starrte an die Decke und schniefte, ärgerte sich aber gleich darüber. Sie wollte ja nicht weinen. Weinen war dumm. Und sie war nicht dumm. Sie war schlau und stark und würde irgendwann die Galaxis retten ... oder sowas ähnliches zumindest. Nur, dass eben gerade ihre Eltern nicht mehr da waren, um sie darin zu bestärken. Und das fehlte. Wie sehr das fehlte verwirrte sie massiv, aber es war halt so. Sie hatte kein Heimweh im eigentlichen Sinn. Sie vermisste nicht das Haus, nicht die Wohnung, bloß die Augen und die Gesichter ihrer Eltern und die Bestätigung für ihre Weltrettungspläne - wenn auch meist vermischt mit Belustigung, aber das überhörte Skaja geflissentlich. Hier war das anders. Hier waren nur die anderen Jünglinge, mit denen sie nichts zu tun haben wollte und die Betreuer, die eben nicht ihre Eltern waren. Was machte eigentlich die eigenen Eltern zu den eigenen Eltern?
Die große Philosophin Skaja würde dieses Geheimnis an diesem Tag nicht ergründen. Zehn Minuten später war sie - wenn auch leicht unruhig - eingeschlafen und noch ein Jahr später würde sie nur noch manchmal - wenn sie Geburtstag hatte zum Beispiel - an ihre Eltern denken. Wie das Gehirn eben so ist, wenn ganz viel ganz schnell passiert.