Kapitel 4: Endsimulation
Der Support-Kreuzer der republikanischen Flotte flog auf einen Außenposten zu, die es zu Dutzenden in den Grenzsektoren der Republik gab. Ihre Umgebung überwachten die Posten mit Langstreckensensoranlagen. Selbige schickten regelmäßig getarnte Abhörsonden in die angrenzenden imperialen Gebiete. Sobald sie feindliches Gebiet erreichten, flogen sie zu den Sehenswürdigkeiten. Von dort sendeten sie ihre Daten zu sogenannten Flüssigroutern - Kommunikationsgeräte, die mit Quantentechnik arbeiteten und unabhängig von der Entfernung fast ohne Zeitverlust Kommunizieren konnten.
Die Sonden und Außenposten wurden auch als Grenzzonenverteidigung bezeichnet. Sie stellten nicht nur die erste Verteidigungslinie da, sie versorgen republikanische Planeten mit Informationen und stellten eine Systemübergreifende Kommunikation für Militär und Bürger sicher. Die Republik verließ sich auf die Außenposten vor allem, wenn es um groß angelegte Schiffsbewegungen entlang der Grenzen ging. Die streng geheimen Außenposten aufseiten der Republik standen in direkter Verbindung zu den Waffenstellungen entlang der Grenze. Kriegsschiffe patrouillierten in ihrer Nähe und standen zum Eingreifen bereit.
Der Support-Kreuzer dockte an. Techniker der Navy warteten bereits auf ihren Einsatz. Es handelte sich um einen reinen Wartungsflug. Als sich die Türen der Luftschleuse öffneten, warf der Cheftechniker einen Blick auf die anstehenden Aufgaben. „Alle mal herhören." Rief er. „Stevens, Abschussdüsen eins bis fünf, mechanische und elektrische Verbindungen. Valeres, Antennen und Kameras. Merriat, Flüssigrouter und Logbänke!" Lautes Husten unterbrach ihn. Die Techniker drehten sich zu Specialist Hektor Merriat, der bereits lange Zeit in der Einheit diente, um. Er krümmte sich zusammen und hustete.
„Hektor?" Der Chief wirkte genervt. „Alles in Ordnung?"
Hektor Merriat wusste nichts von seiner wahren Vergangenheit. Dank dem Einsatz von Drogen, anhaltender Gehirnwäsche und ausgeklügelter Konditionierung, war ein Verstand entstanden, der geöffnet, und zu jeder Zeit fast gänzlich neu beschrieben werden konnte. Merriat war davon überzeugt, dass die jetzige Simulation sein echtes Leben war. Er glaubte fest daran, dass er dringend für die Wartung der Flüssigrouter gebraucht wurde. Doch neben dieser Annahme, erkannte sein Verstand noch etwas anderes, das seine weiteren Handlungen bestimmen sollte. Er wusste ihm blieb nicht mehr viel Zeit.
„Ist nur die Hyperraumkrankheit." Keuchte Merriat. Seine Kollegen stützten ihn. Er war blass, Schweißperlen standen auf seiner Stirn. „Ist gleich vorbei." Er richtete sich auf. „Ich wollte Euch nicht unterbrechen. Mir geht es schon wieder gut. Ich übernehme die Flüssigrouter und Logbänke. Wir haben ja nicht viel Zeit." Der Chief musterte Hektor Merriat nachdenklich. „Wir sind in der Navy." Sagte der Chief. „Wer stehen kann, kann auch arbeiten." Er machte eine Handbewegung. „Also gut." Sagte er. „Gehen Sie in die Krankenstation, wenn Sie fertig sind."
Specialist Hektor Merriat griff nach seinem Werkzeugkoffer. „Jawohl, Sir!"
Er hielt sich mühsam aufrecht, bis er die anderen hinter sich gelassen und den Wartungsaufzug betreten hatte. Dann brach er, von Krämpfen geschüttelt, zusammen. Er brachte kaum die Kraft auf, das Stockwerk im Aufzug anzuwählen, in dem sich die Flüssigrouter befanden. Zitternd griff er nach einer Injektionspistole in seiner Brusttasche, ließ sie jedoch fallen. Fluchend hob er sie auf, drückte sie gegen seinen zuckenden Oberschenkel und drückte ab. Simulierte Schmerzmittel, Steroide und Chemikalien schossen in seinen Blutkreislauf und linderten die körperlichen Symptome. Doch der Schmerz blieb, beinahe in all seinen Gliedmaßen. Ein psychotischer Wutanfall überkam ihn. Schreiend machte er seinen Hass auf die Republik Luft.
Nur mühsam war er in der Lage sich zu fassen und auf die Aufgabe zu konzentrierten, die vor ihm lag. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, doch anstelle des Schweißes, den er erwartet hatte, sah er Blut an seinen Fingern. Er blutete durch die Poren seiner Haut. Er würde bald sterben, doch seine Wut war mächtiger als der Schmerz. Er öffnete die Fahrstuhltür und zerrte den Werkzeugkoffer hinter sich her zu den Reihen nummerierter Flüssigrouter. Eine automatische Sicherheitsabfrage identifizierte ihn als Specialist Hektor Merriat. Die Tür wurde geöffnet. Er machte weiter. Es ging ihm nur noch darum, alles zu vernichten, was der Republik heilig gewesen war. Wut strömte wie Gift durch seine Adern. Er öffnete die Abdeckung der Speicherbänke, die sich hinter den Flüssigroutern befanden. Blut tropfte von seinen Augenbrauen. Fluchend begann er die Flüssigrouter und damit die Grenzzonenverteidigung abzuschalten. Es war eine ungeheuer komplexe und gefährliche Aufgabe, aber dank der neuen Erinnerungen, die ihm das Wiedergewinnungsprogramm gegeben hatte, wusste er genau, was zu tun war.
Ein Alarm heulte auf, als Merriat die letzte Abschaltungs-Sequenz initiierte. Sein Körper war von Blut überströmt. Seine Haut und die ganze Statur quollen auf. Die gefährlichen Chemikalien, die Merriat zuvor mit voller Absicht und dem Wissen seines damit verbundenen Todes, in seinen Körper gejagt hatte, reagierten aufeinander. Sein Organismus verhielt sich wie eine Bombe. Nur Sekunden später zerriss eine ungeheure Explosion den Körper von Hektor Merriat und zerstörte die Flüssigrouter des republikanischen Außenpostens. Und dann umgab ihn wieder eine entspannende Dunkelheit, aus der eine angenehme männliche Computerstimme zu ihm sprach.
„Guten Morgen, Soldat. Ich heiße Valentin. Wie fühlen sie sich?"
Ein älterer Mann öffnete zum ersten Mal seine neuen Augen. Die erste Lebenserfahrung wurde von ihm wahrgenommen als ein heller Punkt, auf den ein entferntes, dumpfes Flüstern folgte. Eine Flut von Gefühlen registrierte sein Bewusstsein, wo es zuvor nur einen schwarzen Ozean des Schlafes gegeben hatte. Sein Geist nahm die Welt um ihn herum in sich auf - Seine Brust, die sich hob und senkte, und das Gefühl des Atems, der seine Lungen füllte; der Geschmack des Speichels und bei jedem Schlucken das Zusammenziehen seiner Kehlmuskulatur; Hände, die sich auf seinen Befehl zu Fäusten ballten; dies alles, so schien es, waren Erfahrungen für einen Mann, der gerade neu geboren worden war.
Er lag auf dem Rücken und blinzelte, versuchte, sein enges Gefängnis zu begreifen. Nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt befand sich eine Scheibe. Frustriert über seine eigene Unsicherheit betrachtete er das Spiegelbild darin, bei dem es sich um sein eigenes handeln musste. Es erwiderte seinen Blick ebenso verwirrt. „Wer bin ich?" Fragte diese verlorene Seele, während sie sich auf der Suche nach Erinnerungen oder Referenzpunkten in die Vergangenheit vortastete. Doch der Mann fand keine Erklärung für seinen merkwürdigen Zustand, nur Schwärze. Als der Mann versuchte, seine Schultern zu heben, senkte sich ein medizinisches Gerät aus der Decke herab. Ein blaues Licht strich langsam über seinen Körper. Erst in diesem Moment erkannte er, dass sein Hinterkopf an dem Bett, auf dem er lag, befestigt war. Das Gerät schwebte über seinen zusammengekniffenen Augen, dann meldete sich die künstliche Stimme Valentins. „Eure körperlichen Werte sind hervorragend. Bitte entspannt Euch, damit ich den Wiederaufbau Eures Temporallappens einleiten kann. Scann beginnt... ich werde Euch nun einige Fragen stellen." Fuhr die Stimme fort. Trotz des künstlichen Tonfalls empfand er sie als beruhigend.
Die imperialen Wachen im Raum zuckten zusammen, als der Behälter zu zischen und klicken begann. Langsam öffnete sich der Deckel. Ein Mann lag vor ihnen. Die Person unterschied sich deutlich von einem charismatisch, gutaussehenden Mann. Auf den ersten Blick wirkte er wesentlich älter. Sein Kopf war rasiert. Er war ungewöhnlich groß und von schlanker Statur. Seine kybernetischen Verstärkungen – zumindest die Sichtbaren – verliehen ihm ein gespenstisches Aussehen. Seine Augen hatten die offensichtlichste und auffallendste Veränderung erfahren: Die Iriden waren smaragdgrün. Es schien fast, dass seine Gefühlslage an die Farbe gebunden war. Die Schleimhaut der Augen war mit Mikroschaltkreisen durchzogen. An beiden Jochbeinen liefen Metallkanten entlang, die unterhalb des Ohres begannen und am Anfang seines scharfen Kinnes endeten. Niemand von den Wachen wusste, was diese Augen sehen konnten - alle wussten nur, dass er nicht mit diesen Augen geboren worden war.
„Scheiße!" Flüsterte eine Wache und sah weg. „Wir hätten den Deckel besser nicht geöffnet."
„Kennen Ihr das heutige Datum?“ Begann Valentin. Seine Stimme war tief und kam der einer angenehmen Erzählerstimme gleich.
„Nein….“ Sagte der alte Mann verwirrt.
„Kennen Ihr Euren Namen?“
„Nein….“
„Was ist das letzte woran Ihr Euch erinnert?“ Fragte Valentin.
Der alte Mann grub in seinen Erinnerungen. „Ich… weiß nicht woran ich mich erinnere.“ Stellte er fest. Seine Stimme klang hol und von Trauer durchzogen. „Wo bin ich… was ist passiert?“
„Keine Sorge, Soldat.“ Versprach Valentin. „Ihr seid in die Sicherheit des imperialen Territoriums zurückgekehrt. Ihr befindet Euch in einem imperialen Hospital auf der Basis Epsilon 3. Ihr habt im Gefecht gegen unsere Feinde ein schweres Trauma erlitten. Eure Familie wartet draußen bereits und kann es kaum erwarten Euch zu sehen.“
„Gefecht?... Familie?...“ Fragte der Mann unsicher.
„Ja.“ Antwortete Valentin mit seiner beruhigenden Stimme. „Euer Bruder, Darth Garwig ist sofort hier hergereist, als er von Eurer Verletzung im Gefecht erfahren hat. In Abstimmung mit Euren Ärzten wurde der Kontakt zu Eurem Bruder gestattet. Er wird Euch alle Fragen beantworten. Bitte beachtet, dass die nächsten Visiten in einer Stunde stattfinden werden. Eure Genesung und die damit verbundenen Behandlungen sind noch nicht abgeschlossen. Eure schweren Verletzungen konnten versorgt werden, doch Ihr leidet immer noch an Gedächtnisverlust und Desorientierung. – Keine Sorge, Soldat.“ Versprach Valentin erneut. „Die Ärzte sind sich sicher, dass Ihr voll genesen werdet.“
Der alte Mann schien zu überlegen, bis er dann ein lauter werdendes Knallen schwerer Stiefel, das von außen hereindrang, bemerkte. Die schwere Metalltür zum Patientenzimmer öffnete sich mit einem mechanischen zischen. Ein sich kalt anfühlendes Licht strömte in den Raum und vertrieb die aller letzten Schatten in die Ecken des Patientenzimmers. Eine Gestalt in dunkler Uniform betrat den Raum, wobei sie in der Tür das meiste Licht wieder verdeckte. Nach einem weiteren Schritt in den Raum hinein schloss sich die Metalltür hinter ihr.
Wer bin ich? Ich bin die Summe meiner Erfahrungen und heute bin ich mehr als ich gestern war.